Sellin. Rums. Laut kracht ein Teil der Rückwand zusammen und lässt eine riesige Staubwolke aufsteigen. Quietschend frisst sich der Abrissbagger Stück für Stück weiter durch das alte Gemäuer. Noch ist an der Fassade des historischen Gebäudes der Schriftzug „Villa Dankwardt Dampf-Bäckerei Conditorei“ zu lesen. In ein paar Tagen wird das Haus in der Granitzer Straße 9 aber ganz verschwunden sein. Damit geht eine über 100 Jahre alte Hausgeschichte zu Ende. Und dann soll ein neues Kapitel aufgeschlagen werden.
Angelehnt an das historische Vorbild werde hier ein neues Gebäude errichtet, sagt der Bauherr. Dabei handelt es sich um die Firma Baltic Seaside Properties GmbH & Co. KG mit Sitz auf der Insel Hiddensee. Das Unternehmen ist nach eigenen Angaben auf die Ostsee und Mecklenburg-Vorpommern fokussiert, mit insgesamt 20 Hotel- und Ferienwohnungsobjekte auf dem Darß, auf Usedom und Rügen. Schwerpunkt auf Rügen sind dabei die Ostseebäder Sellin und Binz – allein in Sellin sind es vier große Projekte.
„Baulich nicht mehr zu retten gewesen.“
„Wir sind auf Bestandssanierungen historischer Häuser spezialisiert“, sagt Inhaber und Geschäftsführer Christoph Schäfer, der ursprünglich aus Hamburg stammt. Die Villa Dankwardt, die die letzten acht Jahre leer gestanden habe, sei allerdings baulich nicht mehr zu retten gewesen. Mit ihrem Abbruch habe man auf das Ende der Urlaubssaison gewartet.
Man wolle mit einem Neubau an die Geschichte und den Namen des Hauses als Logierhaus mit Bäckerei und Laden anknüpfen. Urlauberquartiere, Wohnungen, Gewerbe, Gästeempfang in zentraler Lage – darüber, welches Konzept oder welche Mischung es am Ende genau werde, wolle man sich vor allem noch mit der Gemeinde verständigen, so Schäfer. Mit im Boot habe man das Architekturbüro Drebing Ehmke, das in Sellin unter anderem mit dem Appartementhaus First und den Strandvillen am Hochufer seine Visitenkarte ablegte.
Am anderen Ende der Granitzer Straße sind dagegen an einem anderen Projekt des Unternehmens die Bauarbeiten schon voll im Gange. Hier entstehe derzeit ein mittelgroßes Appartementhaus mit acht Ferienwohnungen. Da es für den Bereich keinen Bebauungsplan gibt, ist es ein Vorhaben im unbeplanten Innenbereich nach Paragraf 34 des Baugesetzbuches. Demnach soll sich ein Bauvorhaben in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen. Unmittelbarer Nachbar ist das Ärztehaus mit drei Stockwerken. Das neue Gebäude soll der Bäderarchitektur entsprechend gestaltet werden, so Schäfer.
Als Wolgaster Blockhausvilla erbaut
Zuvor war das Grundstück seit 120 Jahren der Standort von Haus Swantewit, das um die Jahrhundertwende einmal als Blockhausvilla von der Firma Kraeft & Co. aus Wolgast erbaut wurde und eine wechselvolle Geschichte mit verschiedenen Besitzern und Nutzungen hatte. So war es schon Wohnhaus, Pension, Kindergarten oder Gardinenladen.
Auch hier kam der Abrissbagger zum Einsatz. „Das Gebäude hatte einen fundamentalen Riss und stand auf einer Moorblase“, erklärt der Investor. Für den Neubau seien zur Standsicherheit deshalb auch 35 Säulen rund 20 Meter tief ins Erdreich eingebracht worden.
So sei damals auch beim Bau des benachbarten Ärztehauses verfahren worden, weiß Gerhard Parchow. Für den Selliner Ortschronisten kommt der Abriss nicht überraschend. „Da war der Schwamm drin.“ Das Haus sei im Laufe der Jahrzehnte auch mehrfach verändert worden, wodurch vom Ursprung kaum noch etwas erkennbar gewesen sei.
Bedauerlich sei hingegen der Abriss der Dankwardt-Villa. „Vor allem um die Jugendstilfassade tut es mir sehr leid. Wie um jedes Haus, das Merkmale der früheren Bäderarchitektur hat“, so Parchow. Er hatte die Historie des Hauses zusammengetragen, die auf einer Tafel davor angebracht war. Heute würden die alten Gebäude eben nicht mehr den Anforderungen von Urlaub und Aufenthalt genügen.
Investor betreibt Objekte selbst
In dem bereits begonnen Neubau am Ärztehaus sollen die ersten Gäste schon im nächsten Jahr einziehen können. Bis zum Sommer soll das Ferienhaus voraussichtlich fertiggestellt sein. Weiterverkauft wird es dann nicht. „Wir sind Bestandshalter, betreiben unsere Objekte alle selbst“, erklärt Christoph Schäfer.
In Sellin zählen dazu auch die Villa Fortuna in der Hauptstraße sowie die Villa Burg Siegfried in der Wilhelmstraße. Während das Appartementhaus Fortuna bereits innen aufwendig saniert wurde, soll auch die Burg Siegfried im nächsten Jahr im Inneren komplett modernisiert werden.
Balkonanlage und Türmchen nachgestalten
Im Ostseebad Binz gehört die Pension Hotel Merkur mit rund 30 Zimmern zu den aktuellen Bauvorhaben des Unternehmens. Das denkmalgeschützte Haus in der Schillerstraße soll ebenfalls im nächsten Jahr in Angriff genommen werden. „Wir wollen die alte Balkonanlage wieder nachgestalten und auch das Zwiebeltürmchen, das nie ersetzt wurde“, kündigt Schäfer an.